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Offener Brief der MoseMinistries Mädchen

15.12.2015 | Autor: Julia Jacob

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An:
The National Human Rights Commission, Delhi
The State Human Rights Commission, Chennai
National Commission for Protection of Child Rights
Tamilnadu Federation of Women Lawyers

Sehr geehrte Damen und Herren,

Zu Beginn dieses Briefes möchten wir uns Ihnen gern vorstellen. Wir sind junge Frauen, die zu einer NGO (Nichtregierungsorganisation) mit dem Namen MoseMinistries gehören, der Pastor Gideon Jacob aus Tiruchy, Tamilnadu vorsteht. Er ist der Leiter der Good Shepherd Evangelical Mission Pvt. Ltd., und der leitende Pastor der Gemeinde Good Shepherd World Prayer Centre in Tiruchy. Wie Ihnen sicher bekannt ist, war Mädchentötung in den 90er Jahren in einigen Teilen Tamilnadus ein großes Problem, besonders in Städten wie Usilampatti (Madurai Distrikt) und Dharmapuri (Salem Distrikt).

Eine BBC-Dokumentation machte auf diese Tragödie in den frühen 90er Jahren aufmerksam und zeigte zwei Mädchen, die lebten und mit dem Gift einer Pflanze getötet wurden, die überall in Tamilnadu und Indien wächst. Babys wurden meistens mit ungeschältem Reis getötet oder mit Yerukkampaal (d.h. mit einer milchigen Flüssigkeit dieser Pflanze), oder dadurch, dass sie einfach gleich nach ihrer Geburt in einem Eimer mit Wasser ertränkt wurden. Es wurde uns berichtet, dass einige dieser Kinder in Orten wie Dharmapuri sogar lebendig begraben wurden. Tausende wurden im Leib ihrer Mutter getötet, dem Ort, der normalerweise der beste und geschützteste Ort für jedes Kind dieser Erde sein sollte – nur, weil sie Mädchen waren. Eine einfache Ultraschalluntersuchung  wurde oft das Todesurteil für diese Kleinen, die der willkürlichen Gnade der Erwachsenen in den Familien und des medizinisches Personals ausgeliefert waren!

Pastor Gideon Jacob und sein Mitarbeiterteam eröffneten 1994 in Usilampatti ein Heim mit dem Namen MoseMinistries, mit dem Ziel, das Leben weiblicher Babys zu retten, die damals in der Gegend zu hunderten getötet wurden. Schaut man sich die BBC-Dokumentation aus dieser Zeit an, bekommt man ein klares Bild darüber, wie damals weibliche Babys in vielen Teilen Indiens ungestraft getötet wurden. Durch die aufopfernden Bemühungen von Pastor Gideon Jacob und seinem Team wurden 89 von uns durch dieses Heim, MoseMinistries, gerettet. Meistens wurden wir gleich nach der Geburt durch unsere eigenen Eltern, Freunde, Verwandte etc. unter falschem Vorwand in das Heim gebracht oder in eine der Wiegen gelegt, die vor dem Haus standen.

Fast alle von uns wurden bereits in den allerersten Stunden unseres Lebens in das Heim gebracht.

Eine unserer Schwestern wurde als Neugeborenes draußen auf einem Reisfeld gefunden.

Und wenigstens zwei von uns wurden stranguliert bzw. mit scharfen Pickles gefüttert (d.h. scharf eingelegtes Gemüse) in der Hoffnung, dass wir daran sterben würden, aber irgendwie überlebten wir und kamen in dieses Heim. Eine unserer Schwestern hatte eine Herzerkrankung, die durch eine Operation korrigiert werden musste, und eine andere hat dieses Leben inzwischen verlassen – sie war bereits an HIV erkrankt, als sie in unsere große Familie kam. Seit fast 21 Jahren sind wir nun 89 Mädchen in diesem Heim. Die jüngste unter uns wird bald 17 Jahre.

Alles war gut, bis im September 2014 ungefähr 22 Beamte für eine Inspektion auf unser privates Gelände kamen (1/2 Morgen groß). Das Social Welfare Committee (örtliche Sozialbehörde) hatte uns bereits in früheren Jahren besucht, aber bei all diesen Besuchen wurde das Heim als großartig befunden. Es wurde von den zuständigen Beamten sogar das beste im ganzen Tiruchy-Distrikt bezeichnet. Pastor Gideon Jacob, unser Vater, hat wunderbare Kontakte nach Deutschland und in einige andere europäische Länder. Er hat dort studiert und gearbeitet. Seine Frau ist Deutsche und ihr einziger Sohn, ein IT-Spezialist, hat dort sein eigenes Geschäft.

An diesem Tag im September 2014 waren Beamte des Child Welfare Committee (örtliche Jugendbehörde), der zuständige Child Protection Officer sowie einige Polizeibeamte anwesend aus einer Abteilung, die gegen Kinderhandel ermittelt. Kurz nach dieser unfreundlichen und bedrohlichen Inspektion, besonders durch das Child Welfare Committe, bekam MoseMinistries eine ganze Liste an Auflagen, die zu erfüllen waren, damit das Heim gemäß dem JJ Act of 2006 anerkannt werden konnte. Hier sei eingefügt, dass zu diesem Zeitpunkt der Prozess der Antragstellung zur Anerkennung bereits in Gang war. Das Heim war bereits durch den zuständigen Inspektor des Social Welfare Committees zur Anerkennung empfohlen worden und wir besaßen bereits eine vorläufige Anerkennung, mit der Zusage, dass sie bis zur endgültigen Anerkennung gültig sein würde. Unserem Vorsitzenden wurde eine ganze Liste an Vorgaben gesandt, der daraufhin allen Anforderungen des Child Welfare Committees und des Social Welfare Committees aus Tiruchy entsprach.

Ein Strohdach wurde vom Essbereich entfernt, ein anderes, durchhängendes Ziegeldach wurde durch einen neuen Dachstuhl aus Stahl verstärkt; die Arbeit an neuen, zusätzlichen Toiletten innerhalb des Geländes begann. CCTV Kameras (Überwachungskameras) wurden auf dem ganzen Gelände installiert. Die Höhe der Mauer, die das Gelände umzäunt, wurde hochgezogen, Dampfkochgeräte wurden angeschafft, eine Wasseraufbereitungsanlage installiert und das ganze Gelände wurde mit neuen und starken LED-Lampen beleuchtet. Drei Briefe mit Auflagen kamen vom Social Welfare Committee – wir haben sie alle erfüllt. Doch nach September 2014 kam nicht einer der Beamten, um die Veränderungen zu überprüfen, und das nun seit einem ganzen Jahr! Da sie nicht kamen, obwohl sie es viele Male versprochen hatten, forderte unser Vorsitzender in einem Einschreiben das  Social Welfare Committee auf, das Heim zu besuchen. Jedes Mal, wenn wir bei ihnen vorsprachen, wurde ein Besuch im Heim angekündigt, aber nichts geschah.

Am 3. September 2015 betrat ein 30-köpfiges Team unser Gelände, sagte, wir müssten von hier „gerettet“ werden, weil das Heim nicht unter dem JJ Act of 2006 registriert sei. Die Beamten des

Social Welfare Committee, Child Welfare Committee, ein Anwalt und ein anderer Mitarbeiter dieses CWC verhielten sich den Mitarbeitern des Heims gegenüber sehr ungebührlich und bedrohten uns öffentlich! An diesem Tag kamen Ärzte, Psychologen, Beamte für Kinderschutz und lokale Polizisten. Für uns war das eine gewaltige einschüchternde Begegnung! Von 10.00 Uhr morgens bis 21.30 Uhr abends wurden wir mit unterschiedlichen Taktiken, mit Worten und Taten gelockt, bedroht, herausgefordert etc. Selbst unseren Verwaltern und Leitern vor Ort wurde mit umgehender Verhaftung gedroht, sollten wir das Heim nicht wie gefordert verlassen. Aber niemand von uns wollte unser Heim verlassen, das seit fast 18 Jahren unser Zuhause ist! MoseMinistries ist kein Waisenheim, sondern unser eigenes Zuhause. Das Trauma, unsere Eltern verloren zu haben, war bereits groß – und nun dieses Trauma der Evakuierung und „Rettung“? Wir sind keinem dieser listigen Worte der Beamten nachgekommen. So verließen sie spät in der Nacht unser Grundstück! 

Am 5.September 2015 kamen ca. 40 Polizisten erneut auf unser Gelände. Am Anfang wussten wir nicht, was vor sich ging, aber später erfuhren wir, dass dieses Polizeibattalion zu unserem Schutz gekommen war. Einige RSS-Leute (Rashtriya Swayamsevak Sangh) wollten uns gewaltsam fortbringen, deshalb brauchten wir Schutz, sagte man uns. An diesem Tag klopfte unser Herz bis zum Hals, am Abend endete alles friedlich. Seitdem bekamen wir Besuch von Beamten des CB-CID aus Chennai, mit einer langen Liste an Fragen. Auch die lokale Polizei befragte jede Einzelne von uns intensiv. Wir erzählten jedem von ihnen, dass wir in Frieden gelassen werden möchten und dass es für niemanden von uns eine Option ist, MoseMinistries, das unser Zuhause geworden ist, zu verlassen!

Jetzt im November 2015 hören wir, dass ein Herr Narayanan ein öffentliches Verfahren mit allen möglichen wilden Anschuldigungen gegen uns und unseren Vater Pastor Gideon Jacob am High Court in Madurai eingereicht hat. Die Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage, sind bösartig und übel. 2008 und 2010 nahm er einmal zehn, einmal acht von uns mit auf eine Sightseeing- und Bildungstour nach Deutschland und Polen, gesponsert durch ihn und Freunde mit Meilentickets der deutschen Fluggesellschaft Lufthansa. Bevor wir Indien verließen, bekamen wir die Zustimmung der Social Welfare Authorities für die Ausstellung der Pässe durch das Pass-Büro in Tiruchy. Auch einen Monat später nach unserer Rückkehr aus Europa informierten wir die Social Welfare Authorities, dass wir wieder zurück in Tiruchy seien. Die Schule, die wir besuchten, war über unsere Reise informiert. Alles geschah nur innerhalb der Gesetze und nichts wurde ohne Genehmigung der zuständigen Behörden unternommen.

Wir haben Sightseeing-Touren unternommen, Städte, Museen besucht etc. In einer Stadt in Polen wurden wir gebeten, auf einem Kulturfestival, das dort gerade stattfand, einen „indischen Tanz“ aufzuführen. Dieser Tanz war im Vorfeld der Reise nicht geplant, es kam ganz spontan dazu. Hat das irgendetwas mit Betteln auf der Straße zu tun, wie uns in dem Gerichtsverfahren vorgeworfen wird? Oder ist es die Halluzination von Menschen, die keine Vorstellung von Europa haben?

Nun, nach all den Jahren, hören wir einige finstere Anschuldigungen über unsere Zeit in Europa! In dieser sogenannten öffentlichen Gerichtsverhandlung am High Court in Madurai werden wir verdächtigt, in Europa sexuell missbraucht worden zu sein. Einige von uns seien in Deutschland zurückgelassen worden, um dort zu arbeiten, erfahren wir. Selbst in unserem eigenen Heim hier in Tiruchy, so der Verdacht, werden wir sexuell belästigt und missbraucht, weil einige Monate lang zwei verheiratete Pastoren unserer Gemeinde täglich von 23.00 – 5.00 morgens in einem separaten Gebäude zu unserer Sicherheit auf unserem Gelände geschlafen haben. Tatsache ist, dass sich innerhalb unseres weiten Geländes von ½ Morgen Größe das Sicherheitspersonal als extrem gefährlich entpuppte. Weil ihr Verhalten in der Nacht einiges zu wünschen übrig ließ, schliefen diese beiden Pastoren dort, nachdem wir bereits in unserem eigenen Gebäude waren. Diese Vorwürfe von sexuellen Übergriffen und sexuellen Aktivitäten sind nichts als Schrott, geboren in den Köpfen dieser Männer, die in Frauen nur „Sex-Objekte“ sehen können! Wir glauben, es ist ein gemeinsames Bestreben von Leuten mit krimineller Energie, die versuchen, unser Leben und unsere Zukunft vollständig durch solche haltlosen Lügengebäude und Gerüchte zu zerstören. 

Ja, wir lieben unseren Vater Pastor Gideon Jacob und haben ihn oft gebeten, uns doch im Auto oder auf dem Scooter mitzunehmen. Jede von uns bekam solch eine kurze Scooter-Tour an unserem Geburtstag und einige von uns begleiteten ihn manchmal beim Einkauf innerhalb unserer Wohngegend. Kann all das falsch sein? Oder ist es falsch, nur weil unsere leiblichen Eltern uns verlassen haben? Wilde und dumme Vorwürfe verbreiteten sich in der sogenannten Sensationspresse!

„35 Kinder vermisst! Zwei wurden getötet! Vier wurden nach Oman verkauft!” Kameraleute und sogenannte ‘Reporter’ verfolgten uns in und außerhalb unseres Geländes für Nachrichten, die gar nicht wahr sein konnten! Kein Kind fehlte, keines war getötet, keins verkauft! Alle 89 von uns sind hier, wir leben und es geht uns gut! Das Child Welfare Committee verlangte, dass alle Kinder über 18 Jahre auf einem anderen Gelände untergebracht werden müssten – so hat es unser Vater getan. Was also war falsch? Haben wir nicht das Recht, in Würde zu leben, nur weil unsere Eltern uns verlassen haben? Dürfen wir keinen Spaß mit unseren Ersatzeltern und Mitarbeitern haben, die bis heute in dieser Welt alles für uns sind? Wo waren diese Behörden, die nun angeblich unser Wohlergehen und unseren Schutz suchen, in den letzten 20 Jahren?!

Wir wurden in Schulen schlecht behandelt, manchmal nannte man uns ‘Abfallkinder’.

In unseren jungen Jahren haben wir viel Mitleid bekommen, aber keine Würde! Würde und Achtung bekamen wir durch unsere Eltern (Pastor Gideon Jacob und seine Frau) und durch die Mitarbeiter des Heims. Die Behörden haben sich in den letzten 20 Jahren nicht um uns gekümmert, aber nun wollen sie uns ‚retten‘ und uns in regierungseigene Heime bringen, nur, weil sie sich auch bis jetzt nicht um die Registrierung gekümmert haben? Das Trauma, die Eltern verloren zu haben, war schmerzhaft genug. Aber warum nun dieses Trauma, nach fast 21 Jahren erneut alles zu verlieren? Wir haben das Recht, in dieser Welt zu leben, wie jedes andere Kind auch. Für uns sind Pastor Gideon Jacob und seine Frau unsere wirklichen Eltern. Wir tragen ihren Familiennamen JACOB in unserem Pass, unseren Zertifikaten und Aadhaar-Cards (ID-Karten).

Wir möchten nur in Frieden leben und vorwärtsgehen in allem, was Gott für uns bereithält!

Dürfen wir, die wir diesen Brief unterschreiben, Sie freundlich bitten, für uns einzugreifen, so dass wir den Rest unseres Lebens in Frieden und Harmonie leben können?

Wir möchten durch keinen dieser Menschen mehr beunruhigt werden, hinter deren Aktionen sich unheilvolle Motive verbergen. Fast alle diese Anschuldigungen entbehren jeglicher Grundlage und basieren auf reinen Verdächtigungen, gestreut durch boshafte Leute mit verborgenen Motiven.

Niemand von uns hat jemals die Behörden um Hilfe gebeten. Niemand von uns ist daran interessiert, unsere leiblichen Eltern nach 20 Jahre zu sehen und das haben wir in den Interviews, die mit uns geführt wurden, auch deutlich zum Ausdruck gebracht.
Alle 89 von uns leben als Kinder in ein und derselben Familie und wir möchten in diesen Beziehungen bleiben, auch nach unseren eigenen Hochzeiten, die eines Tages kommen werden.
Wir bitten Sie herzlich, sich unserer Sache möglichst umgehend anzunehmen und alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, dass unsere Rechte in jeder Hinsicht abgesichert sind. 
Wir möchten in unserem Leben nicht noch einmal durch das Trauma von Trennung gehen müssen.
Wir möchten in dieser Gesellschaft nicht herabgesetzt sein, nur weil unsere Eltern uns nicht wollten oder nur weil wir Frauen sind. Die gegenwärtigen Aktionen der oben erwähnten Behörden und Ämter bedrohen und beschädigen unser Leben und unsere Zukunft. Wie sollen wir in dieser indischen Gesellschaft mit Würde leben, wenn solche skandalösen, bösen und unverfrorenen Lügen über uns und unser junges Leben verbreitet werden? Wird uns irgendjemand in Zukunft heiraten wollen, wenn wir verdächtigt werden, abscheulich sexuell missbraucht worden zu sein? Gibt es in dieser Nation irgendjemanden, der unsere Achtung und unsere Würde als Frauen schützt?

Wir danken Ihnen im Voraus!

Mit freundlichen Grüßen,
Ihre 89 jungen MoseMinistries-Frauen